Warum AI nicht nur Startups disruptiert, sondern auch ihre Investoren

„Wenn man heute eine Firma neu bauen würde, dann würde man sie anders bauen: Man würde sie komplett auf Profitabilität ausrichten, bootstrappen und gar nicht an Fundraising denken. Und man würde AI zu 100% zu leveragen zu versuchen.“ Mit diesem Satz hat Lukas Kinigadner, CEO von Anyline, wohl vielen aus der Seele gesprochen.
Denn Anyline ist eines der ersten Unternehmen in Österreich und darüber hinaus, das es offen anspricht: Generative KI verändert Unternehmen so grundlegend, dass es zu kurz kommt, einfach nur von Effizienz-Verbesserungen zu sprechen. Vielmehr verändert AI bereits vielerorts grundlegend Geschäftsmodelle, Arbeitsabläufe, ja das gesamte Mindset.
Das „AI First“-Paradigma transformiert die Startup-Welt in allen Dimensionen. Es ermöglicht kleineren Teams, mit minimalen Ressourcen Produkte zu entwickeln, die früher ganze Abteilungen erfordert hätten. Die Rolle des Menschen verändert sich von der Ausführung hin zu Strategie und Überwachung, während KI zunehmend eigenständige Aufgaben übernimmt. Dieser Trend hat auch aber das Potenzial, die andere Seite des Startup-Business grundlegend zu verändern: die Investoren.
Die Venture-Capital-Branche steht vor ihrer größten Disruption seit Jahrzehnten, glaub man so manchem Beobachter. Während Risikokapitalgeber jahrelang die treibende Kraft hinter dem Wachstum von Tech-Startups waren, verändert Künstliche Intelligenz nun fundamental, wie Software-Unternehmen gebaut werden – und stellt dabei die Existenzberechtigung traditioneller VC-Modelle infrage.
Der Paradigmenwechsel: Weniger Kapital, mehr Effizienz
Yaniv Jacobi von Horizon Capital aus Israel beobachtet diesen Wandel aus erster Hand: „Über das letzte Jahr haben wir eine wachsende Anzahl von Unternehmen bemerkt, die deutlich weniger Finanzierung benötigen, um kritische Meilensteine zu erreichen.“ Seine Beobachtung ist nicht nur anekdotisch – sie spiegelt einen fundamentalen Strukturwandel wider.
Wo früher Software-Startups 5 Millionen Dollar benötigten, um ein markttaugliches Produkt zu entwickeln und erste Kunden zu gewinnen, erreichen heute viele dasselbe Ergebnis mit der Hälfte der Finanzierung oder noch weniger. „In unserem Portfolio sehen wir bereits Unternehmen, die mit 1,5 Millionen Dollar Finanzierung 1,5 Millionen Dollar ARR erreicht haben“, berichtet Jacobi.
KI als Effizienz-Katalysator
Die Ursache dieser Transformation liegt in der allgegenwärtigen Integration von KI in alle Aspekte der Unternehmensentwicklung. Fast Company analysiert diesen Trend prägnant: „KI komprimiert Jobs, die einst Hunderte von Mitarbeitern erforderten, in Algorithmen. Wir erleben die Geburt eines neuen Unternehmensarchetyps – kapitaleffizient, sofort profitabel und überraschend klein.“
Von Marketing über Design bis hin zum Datenmanagement übernimmt KI Prozesse, die früher ganze Teams beschäftigten. Website-Texte und Social-Media-Posts werden automatisiert erstellt, Interface- und Werbedesign wird KI-gestützt entwickelt, und strategische Entscheidungen basieren auf KI-verarbeiteten Datensätzen.
Die neue Unternehmensrealität
Diese Effizienzsteigerung führt zu einer bemerkenswerten Entwicklung: Unternehmen erreichen Umsatzskalen mit der geringsten Anzahl von Mitarbeitern in der Geschichte. Fast Company berichtet von Gesprächen über „das erste 100-Millionen-Dollar-Umsatzunternehmen mit nur einem Mitarbeiter“ – eine Vision, die durch KI täglich realistischer wird.
„Wenn sich dieser Trend fortsetzt, könnten wir eine fundamentale Umstrukturierung des Venture Capitals selbst erleben. Die Anzahl der Finanzierungsrunden könnte schrumpfen und die Investitionssummen könnten sinken“, so Jacobi.
Das traditionelle VC-Modell basiert darauf, überproportionale Renditen aus wenigen Investments zu generieren, die die Verluste der Mehrheit der Investitionen ausgleichen. Dieses Modell gerät ins Wanken, wenn Unternehmen weniger Kapital benötigen und VCs entsprechend kleinere Anteile erhalten. Die Folge könnte sein, dass VCs künftig viel mehr kleinere Tickets auf viel mehr Jungfirmen verteilen.
Neue Finanzierungsformen entstehen
Fast Company prognostiziert einen Wandel hin zu alternativen Finanzierungsformen: „Die neue Normalität könnte eine Finanzierung durch Debt (Fremdkapital, Anm.) werden.“ Da Unternehmen schneller profitabel werden können und dafür weniger Mitarbeiter benötigen, eröffnen sich neue Finanzierungsoptionen für EBITDA-positive Unternehmen, einschließlich günstiger Bankkredite oder umsatzbasierter Finanzierung.
Diese Entwicklung ist für Unternehmen attraktiv, da VC-Finanzierung „bei weitem das teuerste Kapital ist, das ein Unternehmen finden kann“ – sowohl durch Verwässerung der Eigentumsanteile als auch durch die Verpflichtung gegenüber Investoren.
Anpassungsstrategien für VCs
Venture Capitalists müssen ihre Strategien grundlegend überdenken. Wie VC VentureX demonstriert, setzen progressive VC-Firmen bereits KI in ihren eigenen Investmentprozessen ein – von Deal-Sourcing über Due Diligence bis hin zu Portfolio-Management und Predictive Analytics.
Zusätzlich könnten VCs ihre Aufmerksamkeit auf bisher vernachlässigte Bereiche richten. Fast Company schlägt vor: „VCs können neue Modelle erkunden und Unternehmen außerhalb ihrer normalen Sichtweise finden. Das könnte weniger nach Software aussehen und mehr nach servicebasierten Unternehmen, die sie zuvor gemieden haben.“
Die Zukunft: Evolution statt Revolution
Trotz aller Veränderungen betont Jacobi, dass es sich um eine Evolution handelt, nicht um eine Overnight-Revolution: „Der Aufstieg KI-getriebener Effizienz signalisiert nicht das Ende des Venture Capitals, wie wir es kennen, aber er markiert eine große Evolution darin, wie und wann Kapital eingesetzt wird.“
Für Gründer bedeutet diese Machtverschiebung stärkere Verhandlungsposition und weniger Verwässerung. Für VCs eröffnet sie neue Chancen auf höhere Renditen bei frühen Investments in KI-gestützte Unternehmen – erfordert aber fundamentale Anpassungen ihrer Geschäftsmodelle.
Die nächste Dekade wird nicht nur transformieren, was Startups bauen, sondern wie sie gebaut werden. Unternehmen, die KI strategisch einsetzen, um mit minimalem Overhead maximale Wirkung zu erzielen, werden die Gewinner sein – mit oder ohne traditionelle VC-Finanzierung.